Heinrich Dolmetsch

geboren am 24. Januar 1846 in Stuttgart
gestorben am 25. Juli 1908 ebenda

 
Heinrich Dolmetsch war Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der meist beschäftigten Kirchenbauarchitekten im ehemaligen Königreich Württemberg. Nahezu drei Jahrzehnte war Dolmetsch freiberuflich tätig. In dieser Zeit sanierte, restaurierte und erweiterte er rund 100 Kirchen, weitere 50 begutachtete er. Die Zahl der von ihm allumfassend neu errichteten Kirchen fällt dagegen gering aus: Lediglich 17 Kirchen- und Kapellenbauten sind hier zu nennen.
Dolmetsch wurde am 24. Januar 1846 als Sohn des Weinwirts und Bäckers Zacharias Dolmetsch (1812 - 1870) und der Elisabeth Wagner (1813 - 1888) in Stuttgart geboren. Nach einer Ausbildung zum Steinmetz absolvierte er sein Studium am Polytechnikum bei Christian Friedrich Leins (1814 - 1892), dem bedeutendsten württembergischen Architekten im 19. Jahrhundert. Anschließend bereiste Dolmetsch Italien, Frankreich, Österreich und Deutschland.
Dolmetschs Tätigkeit als Architekt begann mit dem Wiederaufbau der 1868 bei einem Brand zerstörten evangelischen Stadtkirche Sankt Veit in Gaildorf unter der Leitung von Leins. Inspiriert durch diese Arbeit, spezialisierte er sich auf den Bau, Ausbau und Restaurierung von Kirchbauten. Dabei blieb sein Wirken auf das Gebiet des Königsreichs Württemberg begrenzt. Wettbewerbsteilnahmen, etwa für den Neubau der evangelischen Kirche in Lichtental bei Baden-Baden und für die Markuskirche in Plauen, blieben erfolglos. Mit nur einer Ausnahme arbeitete Dolmetsch ausschließlich für evangelische Kirchengemeinden. Damit lässt sich bei ihm eine starke konfessionelle Bindung erkennen. In Dolmetschs Fall gehen fast sämtliche Aufträge auf die Vermittlung des Vereins für christliche Kunst zurück, in dessen Ausschuss er seit 1878 Mitglied war. Die dem Ausschuss angehörenden „Techniker“ hatten die Aufgabe, Kirchengemeinden bezüglich einer bevorstehenden „Restauration“ ihres Gotteshauses beratend zur Seite zu stehen. Gemäß dem Vereinsorgan aus dem Jahr 1882 war das Ziel dabei, dass „große Erbübel zweier Jahrhunderte“, welches nicht nur billig, sondern „auch unecht und schlecht lautete“ zu beseitigen. Nach dem Tod von Christian Friedrich Leins übernahm Dolmetsch 1892 die leitende Position im technischen Ausschuss. Ab diesem Zeitpunkt stieg seine Auftragslage enorm, so dass er mitunter an bis zu zehn Kirchenbauprojekten gleichzeitig arbeitete, was des Öfteren zu Verzögerungen im Bauablauf und folglich zu Unmut bei den Bauherren führte.
Die Qualität der Kirchenausstattungen suchte Dolmetsch zu sichern, indem er in umfassender Weise Kunsthandwerker, wie den Hofdekorationsmaler Eugen Wörnle, den Kunstmaler Theodor Bauerle, den Bildhauer Karl Lindenberg sowie die Glasmalereianstalt Gustav von Treeck (München), an der Bauführung beteiligte. Nur die Maurer-, Schreiner-, Schlosser und Flaschnerarbeiten, die auf die ästhetische Wirkung des Kirchengebäudes keinen unmittelbaren Einfluss hatten, ließ Dolmetsch durch ortsansässige Handwerker ausführen. Diese Strategie zeigt deutlich, dass Dolmetsch der künstlerischen Ausgestaltung des Innenraums eine höhere Bedeutung zuschrieb als der Ausführung des Außenbaus.
Durch seine großen Erfahrungen in Kirchenbauten galt er bald als Experte in Fragen der Akustik und wurde als solcher oft bei anderen Bauprojekten hinzugezogen. So entwickelte er beispielsweise einen Wand- und Deckenbelag unter Verwendung von geschrotetem Kork zur Reduzierung des Nachhalls, für den er ein Patent erhielt.
Im Alter von 62 Jahren starb Heinrich Dolmetsch als Oberbaurat am 25. Juli 1908. Die Beisetzung erfolgte zwei Tage später auf dem Stuttgarter Pragfriedhof. Bis zum Ersten Weltkrieg führte sein Sohn Theodor Dolmetsch gemeinsam mit Felix Schuster das Architekturbüro weiter.